Servicepersonal gesucht! Fachkräftemangel in der Gastronomie
Die Gesprächspartner
Erich Nagl ist Vorstand der ETL ADHOGA Unternehmensberatung. Der Betriebswirt ist in seiner Beratung auf die Gastronomie- und Hotelleriebranche spezialisiert – und bringt dafür jede Menge Erfahrung mit: Viele Jahre lang hat er eigene Restaurants in Berlin geleitet.
Chi Trung Khuu hat schon während des Wirtschaftsstudiums in Hannover seine erste Bar eröffnet. Inzwischen betreibt er eine ganze Reihe von Bars und Restaurants. Flaggschiff ist die „LieblingsBar“ in Hannover, mit der Khuu und sein Team etliche Auszeichnungen wie die Ernennung zu Deutschlands „Bar des Jahres“ gewonnen haben.
Hans-Jürgen Wenzel ist Geschäftsführer des Viersternehotels Fora in Hannover mit über 140 Zimmern. Er blickt auf eine jahrzehntelange Erfahrung in der Branche zurück.
Erich Nagl: Was haben Sie in den Coronajahren über die Gastronomie gelernt?
Hans-Jürgen Wenzel: Unheimlich viel! Zum Beispiel darüber, wie man sich in Krisen helfen kann. Ich habe gelernt, zu improvisieren, mich neu zu orientieren, meine Firma neu auszurichten.
Chi Trung Khuu: Wir haben uns ganz neu aufgestellt. Es gibt jetzt zum Beispiel einen Onlineshop, in dem wir Produkte unserer LieblingsBar anbieten – vom guten Wein bis zur Barbecuesoße. Natürlich spielt auch das Liefern von Essen eine Rolle. Aber in der Pandemie haben wir eine zentrale Entscheidung getroffen.
Nagl: Welche war das?
Khuu: Wir haben die Expansion, die wir geplant hatten, für die nächsten Jahre abgesagt. Es herrscht so eine große Planungsunsicherheit in der Branche, wie ich das in den vergangenen Jahrzehnten noch nie erlebt habe. Wir wissen im Moment einfach nicht, wohin die Reise geht.
Wenzel: Das ist bei uns genauso: Unser wichtiges Ziel für die nächsten Jahre ist, dass wir wetterfest werden. Wir bereiten uns auf alle Eventualitäten vor und spielen sie durch – zum Beispiel auf das Szenario eines Blackouts, eines mehrtägigen Stromausfalls also. An so etwas hat vor Kurzem ja noch niemand gedacht.
Nagl: Die Coronajahre haben die Hotel- und Gastronomiebranche durcheinandergewirbelt, das erlebe ich immer wieder. Sie hat einen exzellenten Job gemacht, um durch diese Zeit zu kommen, aber jetzt leidet sie beispielsweise unter dem Arbeitskräftemangel. Wie kommen Sie damit klar?
Wenzel: Wir mussten schon manchmal Zimmer leer stehen lassen, weil wir einfach kein Reinigungspersonal hatten – obwohl die Nachfrage da war.
Khuu: Um da gegenzusteuern, haben wir vor ein paar Monaten zwölf Auszubildende aus Vietnam eingestellt. Natürlich gibt es die Sprachbarriere. Wir können sie also nicht gleich im Service einsetzen, aber in der Küche klappt das schon gut. Um ihnen zu helfen, haben wir eine digitale Plattform entwickelt: Da gibt es zum Beispiel Videos zu den verschiedensten Arbeitsprozessen – etwa darüber, wie man Gäste begrüßt.
Nagl: Ich habe neulich in einem großen Restaurant zum ersten Mal Serviceroboter gesehen. Die Kellner räumen das Geschirr ab und bringen es an dezentrale Plätze. Von dort aus wird es von Robotern in die Spülküche gebracht. Eine halbe Tonne pro Tag tragen die Roboter weg – das schont die Rücken der Mitarbeitenden und gibt ihnen vor allem mehr Zeit, sich um die Gäste zu kümmern.
Wenzel: Über Serviceroboter für mein Hotel habe ich auch schon einmal nachgedacht, aber mich dann bewusst dagegen entschieden. Die haben mich einfach nicht überzeugt. Aber was wir neuerdings anbieten, ist ein digitalisierter Check-in: Die Türschlösser der Zimmer sind so ausgestattet, dass sie sich mit einem QR-Code öffnen lassen, den der Gast bekommt.
Nagl: Die Gastronomie hat eine sehr wichtige Funktion: Sie ist das Wohnzimmer der Gesellschaft …
Khuu: … und deshalb kriegen wir hautnah mit, wie die Gesellschaft sich wandelt.
Wenzel: Und was sehen Sie da?
Khuu: Die Gäste sind nicht mehr so offen für Experimente. Für ihr Geld wollen sie lieber das bekommen, was sie schon kennen. Früher stand das Konzept eines Restaurants an erste Stelle, die Location an zweiter. Heute steht die Freundlichkeit des Personals ganz oben.
Wenzel: In der Hotellerie hat sich in den vergangenen Jahren der Markt komplett geändert. In Hannover ist die Zahl der Zimmer gestiegen, da findet inzwischen ein Verdrängungswettbewerb statt. Und dann kommt der Fachkräftemangel dazu, nicht nur im Reinigungsbereich, sondern zum Beispiel auch an der Rezeption. Wir sind aus diesen Gründen unter das Dach des Konzerns Accor gegangen. Eigentlich waren wir immer stolz darauf, ein Individualhotel zu sein, aber jetzt ist der Vertrieb deutlich einfacher geworden.
Nagl: Für mich als Berater ist es immer am schönsten, wenn ich mit Mandanten arbeiten kann, die ein klares Ziel vor Augen haben. Die an der Umsetzung einer Vision arbeiten und nicht einfach nur bestimmte betriebswirtschaftliche Indikatoren erreichen wollen.
Wenzel: Und umgekehrt gilt das übrigens auch. Wer einmal mit einem Steuerberater gearbeitet hat, der keine Ahnung von der Branche hat, der weiß das. Ich kann dem Steuerberater nicht erst unsere Branche erklären, er muss als Partner einfach manche Dinge wissen. Ich will niemandem erklären müssen, dass bei uns alle vier Jahre die Matratzen ausgetauscht und alle fünf Jahre die Zimmer renoviert werden. Mit diesen Standards muss mein Steuerberater vertraut sein und dann zuverlässige Aussagen treffen können, wie sich diese Themen steuerlich behandeln lassen.
Nagl: Mein Eindruck als Berater ist, dass Gastronomie und Hotellerie gerade heute eine wichtige Funktion haben: Sie sind es, die wieder Sicherheit zurück in die verunsicherte Gesellschaft tragen können – einfach indem sie täglich vorleben, dass es sich lohnt, sich für ein Ziel zu engagieren. Und genau diese Zielstrebigkeit, dieses gelebte Leadership könnte die Branche auch wieder für Interessenten attraktiv machen.
Khuu: Das hoffe ich! Und wir arbeiten natürlich auch daran. Ein Beispiel: Wir wollen die Prozesse im Unternehmen so verschlanken, dass die Mitarbeitenden wieder Zeit haben, sich um das zu kümmern, was ihnen am meisten am Herzen liegt: um die Gäste.
Wenzel: Ich weiß noch genau, warum ich 1993 den Beruf des Gastronomen gelernt habe: weil alles andere im Vergleich dazu einfach langweilig ist. Jeder Tag ist anders. Man muss diesen Glanz in den Augen haben – und wenn man darüber die Leidenschaft transportiert, die in dem Beruf steckt, dann überzeugen wir auch die nächste Generation von unserer großartigen Branche.