Nachhaltige Pflegeanbieter werden die Gewinner sein
Weniger Papier verbrauchen, Strom einsparen und den Fuhrpark vielleicht doch endlich auf Elektroautos umstellen: Wer einen Betrieb nachhaltig ausrichten will, wird sofort an ökologische Maßnahmen denken, die den Ressourcenverbrauch und den CO2-Ausstoß reduzieren. Wenn Janine Peine an Nachhaltigkeit denkt, fällt ihr etwas ganz anderes ein: die Arbeitsatmosphäre in Unternehmen, insbesondere in Pflegediensten und -heimen. „Nachhaltigkeit heißt nicht nur, den Papierverbrauch zu reduzieren. In der Pflege ist das drängendste Problem die soziale Nachhaltigkeit“, sagt sie.
Janine Peine ist Steuerberaterin und Fachberaterin im Gesundheitswesen. Sie leitet die auf das Gesundheitswesen spezialisierte ETL ADVISION. Rund 120 Steuerberatungskanzleien bundesweit beraten Arztpraxen, Apotheken, Physiotherapiepraxen und eben Pflegeheime und ambulante Dienste. Peine hört immer häufiger von Mandanten, die nicht nur über ihre Bilanzen und Steuererklärungen sprechen wollen, sondern noch andere Fragen haben: Sie finden einfach keine qualifizierten Pflegekräfte mehr – und sorgen sich aus diesem Grund um ihre Zukunft. „Bei den Pflegediensten setzt da langsam ein Umdenken ein“, sagt Peine. „Immer mehr Betreiber erkennen, dass sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr in den Fokus ihrer Unternehmensführung stellen müssen.“
Soziale Nachhaltigkeit ist eines der drei ESG-Kriterien, nach denen sich die Nachhaltigkeit eines Unternehmens bemisst. Dazu kommen der Umweltschutz und eine nachhaltige Unternehmensführung. Das umzusetzen, ist branchenübergreifend eine große Herausforderung. Dieser Wandel bietet viele Chancen. Er bringt aber auch Kosten und strukturelle Veränderungen mit sich, die Mut erfordern. Offenheit für neue Denkweisen und Entwicklungen ist gefragt, und nicht allen Unternehmern fällt es leicht, da mitzugehen. Viele tun es zwar, aber eher notgedrungen. Das ist auch und vor allem bei vielen kleineren Unternehmen in der Gesundheitsbranche zu beobachten. Ihr Treiber: der Fachkräftemangel.
Neue Wege für die Fachkräftegewinnung in der Pflege
Die Betriebe müssen heute mehr tun, als die Stundensätze zu erhöhen oder die Löhne steuerlich so zu optimieren, dass mehr Netto vom Brutto übrig bleibt. Sie müssen auch eine gute Arbeitsatmosphäre und damit die Voraussetzung schaffen, um neue Mitarbeiter zu finden, zu halten und langfristig an sich zu binden. Die ETL-Expertin ist überzeugt: Wer sich dieser Herausforderung stellt, verbessert sein Image – und hat einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen Pflegeeinrichtungen im Kampf um die begehrten Fachkräfte.
Thomas Meißner zum Beispiel hat seinen Pflegedienst in den vergangenen Jahren komplett neu aufgestellt. Er betreibt seit 32 Jahren Meißner & Walter in Berlin, aber heute ist sein Betrieb ein anderer. Wer sich bei ihm um einen Job bewirbt, kann das online tun und sogar am späteren Abend noch mit einer Antwort rechnen. Die Pflegekräfte müssen ihre Berichte nicht mehr mit der Hand schreiben, sondern dokumentieren alles mit modernen Tablets. Die Arbeitszeiten werden an die Bedürfnisse der Mitarbeiter angepasst. Und demnächst erstellt Meißner & Walter sogar den Dienstplan interaktiv, zusammen mit den Kollegen. „Heute bewerbe ich mich bei den Mitarbeitenden und nicht mehr umgekehrt“, sagt Meißner, der auch stellvertretender Vorsitzender im AVG ist, dem AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen. „Man muss den Mut haben, neue Wege zu gehen.“
Mittelständischen Unternehmen rät Meißner, ihre Leitungsstruktur zu verändern. Die Führungskräfte müssen heute extrem kommunikativ sein, eine hohe Empathie haben, auf die individuelle Lebenssituation der Beschäftigten eingehen und technikaffin sein. Und begreifen, wie wichtig die Außendarstellung eines Pflegedienstes ist. Dass in den Büros moderne Computer stehen müssen und auf dem Parkplatz moderne Autos. Dass es eine Homepage geben muss und am besten ein Intranet, in dem die Kollegen alle Informationen finden und über das sie selbst auch mit ihrem Arbeitgeber kommunizieren können. „Früher haben wir unsere Pflegekräfte auch nach ihrer Schicht oft anrufen müssen, um alles zu klären. Das macht heute niemand mehr mit“, so Meißner. Wer die Fachkräfte an sich binden wolle, müsse sich auf die neuen Bedürfnisse einstellen, so sein Fazit.
Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen schließt auch soziale Aspekte ein
Eine große Rolle spielt auch die Diversität, also die Vielfalt in einem Betrieb. Und die Frage, welche Weiterbildungsmöglichkeiten es gibt, ob der Arbeitgeber individuelle Arbeitszeitmodelle anbietet und die Dienstpläne die Belastung für alle Beschäftigten im Rahmen halten. Attraktiv sind laut ETL-Expertin Peine Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten fördern. Das betrifft nicht nur die fachliche Weiterbildung. Auch Angebote zur Erholung und zum Stressmanagement gehören dazu, etwa Resilienzkurse, in denen die Pflegekräfte lernen, mit der Belastung in ihrem anspruchsvollen Job umzugehen. Wichtig ist laut Peine eine Unternehmenskultur, die es ermöglicht, Konflikte konstruktiv zu bearbeiten. „Die Arbeitgeber müssen mehr auf ihre Mitarbeitenden achten. Sonst werden sie die Verlierer sein im Kampf um die Fachkräfte“, mahnt sie.
Das bestätigt auch Steffen Biese. Er ist Gründer und Geschäftsführer von Workbee. Die digitale Jobplattform speziell für Fach- und Hilfskräfte in der Pflege ist eine Brücke zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Biese kennt daher die Bedürfnisse beider Seiten gut. Er weiß, dass sich die Erwartung der Pflegekräfte an ihren Arbeitsplatz gewandelt hat – und dass die Unternehmen einiges dafür tun müssen, junge Nachwuchskräfte anzuwerben. „Sie müssen an ihrem Image arbeiten, um sich nach außen hin verkaufen zu können“, sagt Biese.
Workbee hat eine Befragung unter Pflegekräften durchgeführt, um herauszufinden, welche Jobvorteile ihnen besonders wichtig sind. Das Ergebnis: Das Gehalt spielt natürlich nach wie vor eine große Rolle. Direkt dahinter kommt laut Biese aber die Work-Life-Balance und die Anzahl der Urlaubstage. Unter den Top 7 finden sich auch Aspekte wie elterngerechte Arbeitszeiten, Arbeiten ohne Zeitdruck, Weiterbildung und Aufstiegschancen. „Noch wichtiger als das Gehalt ist es den Pflegekräften heutzutage, genug Zeit für die Pflege zu haben, flexibel zu sein und nicht so oft einspringen zu müssen“, so der Workbee-Geschäftsführer.
Mithilfe von ESG-Software wichtige Entwicklungen verfolgen und steuern
Die Unternehmen haben also durchaus Handlungsmöglichkeiten, um Fachkräfte für sich zu gewinnen. Sie müssen das nur gezielt angehen und ihre soziale Nachhaltigkeit stärken. Großen Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten und einer Bilanzsumme von 20 Millionen Euro oder einem Umsatz von 40 Millionen bleibt ab Januar 2025 ohnehin keine andere Wahl mehr, als sich ernsthaft mit diesem Thema zu befassen. Dann sind sie verpflichtet, einen Nachhaltigkeitsbericht vorzulegen, der alle drei Säulen umfasst: Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Ein Jahr später, im Januar 2026, wird ein solcher Bericht auch für kleinere Unternehmen ab 10 Beschäftigten und 350.000 Euro Bilanzsumme oder einem Umsatz von 700.000 Euro Pflicht, sofern eine Kapitalmarktorientierung vorliegt. Die ETL Gruppe hat eigens dafür ein Tool entwickelt, mit dem die ETL Mandanten verschiedene Nachhaltigkeitskennziffern messen und kontrollieren können: das ETL ESGA-Tool steht seit dem Sommer Mandanten und Steuerberaternder Gruppe zur Verfügung. Berater und Unternehmer können darin gezielt Kennzahlen auswählen, deren Entwicklung verfolgen und steuern.
ETL hat das Tool für Unternehmen entwickelt, die ab dem kommenden Jahr über ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen berichten müssen. Pflegebereichsleiterin Peine rät aber auch allen anderen Betreibern von Gesundheitseinrichtungen, das Thema schon jetzt auf die Agenda zu setzen: „Gerade für junge Beschäftigte, die die Unternehmen dringend für sich gewinnen müssen, ist die Umwelt- und Sozialverantwortung von immer größerer Bedeutung.“